Wer wie ich Volkshochschulen auf dem Weg in die digitalisierte Gesellschaft begleitet, spürt eine große Ratlosigkeit. Wie soll der Schritt gemacht werden? Kaum geeignetes Personal, so gut wie keine begeisterten Kursleitungen und die Kunden scheinen mit den traditionellen Angeboten zufrieden zu sein. Und doch wissen fast alle: an digitalen Konzepten führt kein Weg vorbei. Ein sehr großer Anteil von Volkshochschulen ist dem nicht gewachsen. Da nützen auch keine markigen Papiere. Es braucht massive Unterstützung und zwar jetzt.
Wenn jetzt nicht der nächste Schritt getan wird, wird sich ein digitaler Graben durch die Volkshochschulen ziehen. Das schadet der Marke VHS fundamental.
Chancen einer Umsetzung bietet überraschenderweise die Politik. Der Koalitionsvertrag spricht in Sachen digitale Volksbildung eine deutliche Sprache.
„Menschen müssen in jedem Alter und in jeder Lebenslage die Chance haben, am digitalen Wandel teilzuhaben, digitale Medien für ihr persönliches Lernen und ihre Bildung zu nutzen und Medienkompetenz zu erwerben. Wir wollen die Entwicklung von attraktiven, niedrigschwelligen Lernangeboten fördern, vor allem im Bereich der #Volkshochschulen, und die Qualitätssicherung in der digitalen Weiterbildung durch Bildungsforschung unterstützen.“ (S.31) Weitere spannende Passagen hat Martin Lindner in seinem Digfisch-Blog zitiert. Egal, ob der Vertrag realisiert wird – die Volkshochschulen sollten den Impuls jetzt nutzen. So schnell kommt diese Gelegenheit nicht wieder.
Wie kann das next Level der digitalen Volksbildung erreicht werden?
Wie können Volkshochschulen unterstützt werden? Es braucht ein zukunftsfähiges Konzept und keine individualisierte Projektlösung.
Bildung in der digitalisierten Gesellschaft ist kein Projekt –
es ist die Zukunft.
Als Motor der Entwicklung haben sich neben einzelnen Volkshochschulen besonders die Verbände gezeigt. Aber: das bisherige Wechselspiel zwischen vereinzelten Initiativen von innovativen Volkshochschulen und dem Programm des DVV ist eindeutig nicht dynamisch genug. Es klemmt in den selbstauferlegten Strukturen. Alle wollen nur das Beste, welches im Netzwerk der Einzelinteressen untergeht. Zu viele Beschränkungen in der Kommunikation, zu viele isolierte Projekte und zu wenig grösser gedachte Angebotslösungen für alle 900 Volkshochschulen. Erste Pilotprojekte durch Digicircles in die Fläche zu bringen, braucht in diesen Struktur einige Jahre. Hier braucht es Standards, um in die Fläche zu kommen.
Ein Haus, eine vhs.cloud für digitalisierte Lösungen zu bauen, ist sicherlich wichtig und richtig, doch die Vergangenheit lehrt auch, dass es nun darauf ankommt Leben in die Bude zu bringen. Dieses Leben (Kurse, Projekte, Diskussionen) können keine Verbände erzeugen. Das bleibt Aufgabe der Volkshochschulen.
Also: wie erreichen wir das next level?
Die Konzeptgruppe der Erweiterten Lernwelten hat in ihrem ersten Papier bereits den Aufbau einer Agentur vorgeschlagen. Eine Agentur, die Service organisiert und dabei selbst in die Kursentwicklung geht. Es bleibt natürlich bei der Freiheit jeder Volkshochschule, diesen Service zu nutzen, eigene Angebote zu entwickeln.
Bisher hat der Bundesverband DVV diesen Service organisiert. Doch ist wohl allen Beteiligten klar, ein Verband ist ein Verband und keine Serviceagentur. Service braucht Innovation, Dynamik und eine Fokussierung auf marktgängige Produkte. Das läßt sich unter wirtschaftlichen Bedingungen realisieren. Ein Verband hat andere Aufgaben.
Wie kann eine Serviceagentur gedacht werden?
Unternehmensform
Das VHS Lab ist ein Tochterunternehmen des DVVs oder einer anderen Formation aus dem VHS-Netzwerk. Als gGmbH soll sie Einnahmen reinvestieren.
Unternehmensstruktur
Das Unternehmen arbeitet in den Bereichen des technischen Supports, der Adaption neuer Technologien für die Erwachsenenbildung bis hin zur konkreten Produktentwicklung und deren Vertrieb in die Weiterbildungslandschaft.
Parallel dazu braucht es dynamische Fortbildungsformate, um die Beschäftigten, seien es Mitarbeitende oder Kursleitende, als Übersetzer des digitalen Wandels zu ertüchtigen.
Forschung/Entwicklung und Produktentwicklung/Vertrieb
Wir brauchen eine verlässliche Weiterentwicklung bestehender Tools. Sei es die App, die dahinterliegende Datenbank aller VHS-Kurse oder die vhs.cloud. Für die bestehenden Lernportale sehe ich die bisherigen Teams in der Verantwortung, die allerdings nicht in der Agentur integriert sein müssen.
Im Bereich der Forschung werden neue Tools auf die Tauglichkeit für Erwachsenenbildung getestet und wenn möglich/nötig, adaptiert.
Als einen Schwerpunkt sehe ich die Entwicklung einer provisionsorientierten Vertriebslösung. Das Team entwickelt neue Online-Kurse die allen Volkshochschulen angeboten werden. Dabei werden die Produktschritte von der Entwicklung bis zum Vertrieb durch ein Team verantwortet.
Das Modell kann so aussehen:
Volkshochschulen, die sich am Vertrieb dieser Kurse beteiligen wollen, erhalten einen Link-Button, den sie auf die eigene Website stellen, bzw. über einen QR-Link im Programmheft, über den sie aufmerksam machen. Wenn über diese Links (Affiliate) ein TN für einen Onlinekurs gewonnen wird, wird der betreffenden VHS eine Provision überwiesen. Hierzu gibt es bereits fertige Systeme. Über diesen Weg gibt es nur Gewinner. Die VHS kann einerseits das eigene Portfolio nach eigenem Ermessen erweitern, braucht keine Entwicklungskosten oder technische Infrastruktur, hat andererseits mögliche Einnahmen, indem sie lediglich die Werbung unterstützt.
In der ersten Phase können die Onlinekurse eine Weiterentwicklung bestehender VHS-Standards sein. Beispiel: Photoshop 1 und 2 können noch an Volkshochschulen in Präsenz realisiert werden. Bei weiteren Spezialisierungen ( Photoshop 3 + 4) werden sich vor Ort selten ausreichend TN finden. Onlineangebote bieten durch die Markterweiterung auf den gesamten deutschsprachigen Raum, bei flächendeckender Werbung, eine hohe Chance auf hinreichend viele TN. Wenn diese Kurse dann noch als Konserve produziert werden, wie es z. B. Udemy zeigt, können die Kurse laufend in den Vertrieb gehen. Ondemand ist ein Qualitätsmerkmal für diese Form der Onlinekurse.
In der zweiten Phase werden die Kurse nicht nach Spezialisierungen entwickelt, sondern nach Lerngruppen. Also Menschen, die bisher das VHS-Präsenzsystem nicht annehmen konnten oder wollten.
In der Qualitätssicherung sollte ein Aspekt auf der laufenden Aktualisierung entwickelter Formate gelegt werden. Oncampus wäre hier ein Beispiel. Massiv Open Online Course (MOOCs) werden dort so produziert, dass sie nach Möglichkeit über Jahre hinweg im Vertrieb sind. So hätte z.B. der ichMOOC weitere Realisierung erfahren können, wenn die beteiligten Volkshochschulen aus Hamburg und Bremen das gewollt hätten. Einen MOOC nur einzigartig anzubieten ist kein Erfolgsmodell, weder im Sinne der digitalen Volksbildung, noch ökonomisch.
Neben den Onlinekursen werden auch Blended-Kurse im Fokus stehen. Dazu braucht es Lernmaterial, welches bestehende Präsenzkurse anreichert. Das werden in erster Linie Videoeinheiten sein, die über die vhs.cloud bereitgestellt werden. Interessant bleiben auch die Blended-MOOCs: zentral produzierte Online-Kurse in der Cloud, die über regionale Begleitgruppen in Präsenzform angereichert werden und zu einer lokalen Cmmunitybildung beitragen können.
Eine Herausforderung stellt das Thema Offene Bildungsmaterialien (OER) dar. Die Materialien einzig in der vhs.cloud bereitzustellen, kann keine Lösung sein. Hier kann ein Zusammenwachsen mit offenen Plattformen ein Ziel sein..
Die Mischung all dieser Lernsettings kann sehr schnell zu einem der breitesten Angebote im deutschsprachigen Raum werden. Die vhs.cloud bildet hier eine gute Grundlage. Die Buchungsmöglichkeiten der Webinarkonserven, der MOOCs und anderer Kursformate ermöglichen einen jederzeitigen Einstieg der Teilnehmenden. Aktualisierungen garantieren ein zeitgemäßes Weiterbildungsangebot.
Qualifizierung
Entwicklung von onlinebasierten Fortbildungssettings sind zwingend, da nur über diesen Ansatz hinreichend viele Mitarbeiter das notwendige Wissen erlangen können. Sie sind z. B. als Konserve kostengünstiger und können über einen längeren Zeitraum begleitend genutzt werden. Wenn diese Fortbildungen in der Konzeption gleich für alle relevanten Lerngruppen (Mitarbeitende, Kursleitungen und Teilnehmende) angelegt werden, kann digitale Volksbildung in Teilen sofort starten. Wir überspringen die herkömmlichen Fortbildungsketten (erst MA, dann KL, dann TN) und gewinnen so an Dynamik.
Finanzierung
Das Unternehmen kann erfolgreich sein, wenn es mit einer Startup-DNA gegründet wird. Das benötigte Risikokapital wird über eine öffentliche Anschubfinanzierung gewährleistet. Es sollte keine Marktbegrenzung auf Volkshochschulen geben, aber eine deutliche Serviceorientierung für die Volkshochschulen und deren Verbände im Fokus haben. Eine ähnliche Konstruktion gibt es bereits mit der Tochtergesellschaft telc, Die Produkte dieser Agentur werden von Volkshochschulen und Verbänden gekauft. Es ist leicht vorstellbar, dass der Markt von über 900 Volkshochschulen ausreicht, um eine Produktentwicklung zu ermöglichen. Allerdings stehen die Produkte, wie in der Privatwirtschaft unter Erfolgsdruck. Jedes Produkt braucht daher eine Wirtschaftlichkeitsberechnung und entsprechende Erfolgskennzahlen.
Agile Struktur
Die Arbeitsgebiete werden nicht nach Abteilungen getrennt. Es sind eher kleine agile Teams, die die komplette Kette von Entwicklung bis Vertrieb verantworten. Die bisherige Trennung von Kursentwicklung und Marketing, wie in größeren Volkshochschulen installiert, sorgt für Reibungsverluste in der gegenseitigen Zuschreibung von Mißerfolgen. Die Agentur ist auch kein Sammelbecken bisheriger Aktivitäten des Verbandes. Personalanforderungen und Stellenbeschreibungen sollten sich eher an Startups orientieren.
Nach den ersten Jahren der Umsetzung der Erweiterten Lernwelten durch den Dachverband, kommt dieser Lösung noch mehr Bedeutung zu.
Der Beitrag gefällt mir außerordentlich gut – Danke!. Das hier vorgestellte Konzept einer Serviceagentur ist nachvollziehbar und durchdacht und könnte meiner Ansicht nach weitgehend 1 zu 1 umgesetzt werden.
Mir gefällt die Orientierung am Markt, also am Bedarf. Auf diese Weise wird sich schnell – einfach über „Verkaufszahlen“ – herausstellen, was wirklich marktgängig ist und die Frage „Lohnt sich das?“ wird sich einfach beantworten lassen. Das wird wahrscheinlich einiges an Ernüchterung bringen, aber eben auch mehr Dynamik an den Stellen, wo es sich „lohnt“.
Da wo es sich wirtschaftlich nicht lohnt, aber politisch gewollt ist, müssten dann eben öffentliche Gelder eingeworben werden.
Natürlich erwarte ich von einer solchen Serviceagentur, dass sie sich an bestimmte Qualitätsnormen in Bezug auf Inhalte, Methodik und Didaktik wie auch ethische Normen hält, aber dies kann ja dann von den Fachleuten in der VHS vor Ort (Pädagogische Planer, Kursleitende) überprüft werden.
Die Idee einer Service-Agentur finde ich wichtig und richtig. Ich sehe darin wirklich viel Potential, um mit neuen Formaten sichtbar zu werden und auch Kunden zu erreichen, die zur Zeit die Volkshochschulen gar nicht im Blick haben. Ich weiß noch nicht , was ich von den Kurskonserven halte. Darüber muss ich noch etwas nachdenken. Blended Moocs sind hingegen ein Format, das ich sehr überzeugend finde. Mit 900 VHsen haben wir hier ein riesiges Potential. Stichwort Agile Strukturen : die Aufhebung der Trennung von Kursentwicklung und Marketing halte ich auch für unbedingt erforderlich.
Ich finde die Idee einer Service-Agentur auch gut. Ober die Aufgaben und Schwerpunkte müsste vielleicht noch diskutiert werden. Ich stelle mir eher vor, dass die Agentur zwar auch selbst Schulungen zentral entwickelt, die über die vhs’en nur noch vertrieben werden. Allerdings wird die kommunale vhs in diesem Setting zum Vertriebspartner, bei dem es langfristig gedacht keine qualifizierten Pädagogen mehr brauchen würde. Das würde wiederum dazu führen können, dass die lokale und regionale Verankerung ganz schwindet. Daher würde ich parallel darauf setzen, dass die Service-Argentur Volkshochschulen bei der Entwicklung von Online-Schulungen hilft, diese sozusagen zertifiziert und dann die Produkte national und international über den gleichen Weg vertreibt, über den auch eigene Produkte der Service-Agentur vertrieben werden.
Ein zweiter Aspekt der benötigten Hilfe im Weiterbildungssektor fehlt außerdem ganz: Neben der pädagogischen Arbeit bedarf es vor Ort auch einer Verknüpfung zwischen Beschaffung und pädagogischen Konzepten. Es bedarf, wie es bereits im Bereich Software realisiert wurde, eines bundesweiten Vertriebspartners für geeignete Lösungen, durch welche die Beschaffungs- und Recherchearbeit der einzelnen (meist überforderten) Pädagogen in vhs aber auch anderen Weiterbildungseinrichtungen zentralisiert würde.
Hallo Andreas, herzlichen Dank für Deinen Kommentar.
Deine Angst, dass den regionalen Volkshochschulen nur die Vertriebsposition bleiben könnte, teile ich nicht. Selbstverständlich sollen Volkshochschulen Ihre Angebote, sofern sie für den deutschsprachigen Markt, interessant sind, auch über die Serviceagentur vertreiben können. Dabei kann die Agentur auch in der Entwicklung über Fortbildungsangebote unterstützen. Die Agentur soll aber überwiegend für Entlastung sorgen. Sehr viele Volkshochschulen werden vom Wissensstand, der Ausstattung und dem persönlichem Willen nicht in der Lage sein, in den nächsten Jahren für die Erweiterten Lernwelten Impulse setzen zu können. Hier kann eine Serviceagentur Druck aus der Entwicklung nehmen.
Ich habe jetzt eine schnelle Antwort geschrieben, natürlich wieder umfangreich. Drüben auf dem Digfisch-Blog: https://digfisch.wordpress.com/2018/02/19/zur-diskussion-um-eine-vhs-serviceagentur/
In Kürze: Ja und Nein. 😉