oder
Das Dilemma der Demokratie
Wer kennt MILLA noch nicht? Modulares Interaktives LebensbegleitendesLernen für Alle. Wer sich mal informieren will, wie sich die CDU zukünftig Weiterbildung vorstellt, kann es sich hier anschauen.
Im ersten Teil gibt es Einsichten. Die Digitalisierung verändert die Welt. Tätigkeiten in der Arbeitswelt verändern sich. Die Beschleunigung des Wandels ist groß. Es wird Verschiebungen auf dem Arbeitsmarkt geben. (Vor 22 Jahren habe ich dazu einen Beitrag in der Schülerzeitung meines Sohnes geschrieben.)
Es folgt die Erkenntnis, dass es einen Fachkräftemangel gibt. Unter dem Stichwort „Mismatch“ wird die Dramatik mit Zahlen garniert: der Fachkräftemangel kostet uns alle 6,8 Mrd. Euro pro Jahr. Also, es wird Zeit, hier was zu tun.
Es folgt eine Episode Publikumsbeschimpfung:
Die Bevölkerung bildet sich nicht oder zu wenig weiter. Es fehlen die Kompetenzen für das 21. Jahrhundert. Kompetenzen in: Digital, Sozial- und Selbst-bzw. Gesundheitsmanagement. Eine Grundsatzschelte des bestehenden Weiterbildungssystems wird angehängt. Unübersichtlich, nicht zentral, nicht individuell, fehlende Erfolgsmessung, zu wenig digital, schwache Vernetzung und rechtliche Hürden.
Das kommt mir bekannt vor: seit Jahrzenten argumentieren die Akteure der Weiterbildung mit gleichen Argumenten. Der Begriff des lebenslangen Lernens wurde immer hervorgehoben. Für Politik hörte Bildung aber stets am Ende der Hochschulbildung auf. Die Bedeutung der Weiterbildung wurde durch massive Mittelkürzungen honoriert. Die Kultusminister-Konferenz (KmK) hat 2017 noch schnell einen Passus in ihr Papier zur digitalen Bildung hinzugefügt, allerdings erst nach Intervention der Volkshochschulen. Weiterbildung? Sind wir dafür zuständig? Irgendwie schon, aber nicht unserer Kernbereich und wenn, dann nur die berufliche Bildung, antwortete Frau Bogedan (Bildungssenatorin Bremen), die damalige Vorsitzende der KmK auf eine Frage von mir.
Und jetzt das: „Weiterbildung kann der wichtigste Standortfaktor für Deutschland werden.“(Seite 15, MILLA)
Was für eine Kehrtwende! Jetzt wird es ernst. Jetzt übernehmen wir das leckgeschlagene Schiff der Weiterbildung. Wir, die CDU! Einige Weiterbildungseinrichtungen jubeln. Warum eigentlich? Vielleicht, weil ihre klassische Weiterbildung eine weitere Vermarktungsplattform erhält und sie denken, dass das bisherige Geschäftsmodell weiter funktioniert? Wenn der Schuss da nicht nach hinten losgeht. Aber dazu komme ich noch.
Eine zentrale staatliche Weiterbildungsplattform, ist ja ein Drehkreuz (nein nicht der BER) für Weiterbildungsangebote. Eine Verteilung macht die Angebote aber nicht besser und die Nachfrage übrigens auch nicht.
Eine Plattform erleichtert die Suche für Suchende. Das Thema Suche erledigt Google wahrscheinlich besser als MILLA. Und es gibt ja auch noch die Weiterbildungsdatenbanken. Welche Suchenden frage ich mich? Die Deutschen wollen sich nicht in großer Zahl weiterbilden, so steht es noch auf Seite 11. An formaler Weiterbildung sollen nur 3% zwischen 30 und 60 Jahren interessiert sein. Nonformale Bildung schneidet mit 39 % besser ab. Wie kann dort eine neue Plattform helfen? Eine neue Plattform würde helfen, wenn sich viele, viele Menschen unbedingt jetzt weiterbilden möchten, aber die Kurse dazu nicht finden. In Google-Zeiten eigentlich fast unmöglich.
Wie begründet sich dieses Desinteresse an Weiterbildung? Ein wesentlicher Grund liegt darin, dass Weiterbildung von der Politik bis dato weitgehend ignoriert wurde. Über die unsichere Zukunft in der digitalisierten Gesellschaft zu sprechen ist für die Wiederwahl von Politikern auch nicht förderlich. Der Bote der schlechten Nachricht wurde früher einen Kopf kürzer gemacht, was in der Demokratie einer schlechten Wählerquote entspricht. Also, solange wir keine Antworten haben, lieber nicht darüber reden. Hat auch noch Zeit bis zur nächsten Legislaturperiode.
Die digitale Transformation ist aber zu schnell, um auf den Marsch durch die Bildungskette zu warten. Die Furcht vor der Konkurrenz aus Fernost wächst. Da scheint es doch fast, dass unsere Demokratie zwischen dem Opportunismus der Politik und der Bequemlichkeit der Massen ins Hintertreffen gerät. Das Konzept dieser digital unvernetzten Generation (Anja Wagner) war doch, dass wir in die Kindergärten investieren („Das Gute Kita Gesetz) und alle unsere Probleme mit dieser Digitalisierung die nächste Generation für uns erledigt. Nur noch 25 Jahre, dann kommen sie aus den Hochschulen und wir sind ganz vorne. Und da wir Älteren keine Ahnung haben, machen die das einfach selbst.
Aber auch die Weiterbildung hat an dieser Hängepartie ihren Anteil. Schon 1984 schrieb Klaus Haefner in seinem Buch „Mensch und Computer im Jahre 2000“. „Während in Wirtschaft, Verwaltung und Industrie die Informationstechnik intensiv genutzt wird und jeden Tag neue Rechner, neue Roboter, neue Datennetze aufgebaut und in Betrieb genommen werden, hat das Bildungswesen die Informationstechnik bisher in seinen institutionellen Strukturen kaum zur Kenntnis genommen. Es fühlt sich – insbesondere in der Bundesrepublik angesichts einer verbeamteten Lehrer- und Hochschullehrerschaft – nicht unmittelbar betroffen von Automatisierung und Computerisierung.“ Diese Analyse ist 34 Jahre alt!
Weiterbildung und Politik haben sich gegenseitig noch nicht einmal schnarchen gehört, so fest war der eigene Schlaf.
Wir sollten mal darüber nachdenken, ob unsere aktuelle Form der parlamentarischen Demokratie für eine schnelle Transformation überhaupt geeignet ist.

https://www.youtube.com/watch?v=PWHnw_-5H3k
Freiwilligkeit, Rücksicht auf Wählerstimmen, Besitzstandswahrungen, Marktorientierung, …. Hierzu empfehle ich das Gespräch von Richard David Precht mit Robert Habeck. (Spannend wird sicher auch der neue China40MOOC von Anja Wagner und Nicole Bauch). Egal wo ich hinschaue, Lösungen aus der Politik höre ich keine. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Es ist schon ein Fortschritt, wenn die richtigen Fragen gestellt werden, so wie es die Grünen u.a. durch Jan Philipp Albrecht tun.
Die CDU scheint das auch umzutreiben, denn auf Seite 35 kommt sie zum unappetitlichen Teil: „Im Erfolgsfall: Ausweitung bestehender Weiterbildungspflichten möglich“. Also, wenn die da draußen den Ernst der Lage nicht verstehen, dann verpflichten wir sie. Vorschlag: „das gute Weiterbildungsgesetz“. Nicht so ganz gut für ein Beispiel gewählt, scheint dafür die Berufsgruppe der Fachanwälte, die ja doch schon auf der Liste der digital bedrohten Arten stehen.
MILLA soll für Kompetenzen sorgen. Finde ich gut! Die Kompetenzen werden zu Kompetenzpunkten, die digitale Währung auf dem Weiterbildungsmarkt. Die Punkteanzahl wird vorgeschlagen durch die klassischen Bildungsanbieter (Präsenzangebote), die Unternehmen im Bereich der betrieblichen Weiterbildung und Onlineanbieter. Um diese Punkte zu erwerben, muss der jeweilige Kurs abgeschlossen werden. Wie bei REWE. Drei Rabattmarkenhefte für ein Messerset. Da ist die analoge Denke wieder. Nur ein abgeschlossener Kurs ist ein richtiger Kompetenzpunkt. Also 15 Kompetenzpunkte für einen Thermomix. (Der Thermomix kommt noch auf Seite 26.) Dabei erleben wir doch gerade im riesigen Angebotsfeld der nonformalen Bildung und des Microlearnings, dass die Selbsteinschätzung der Nutzer*innen, was für sie wichtig ist, eine entscheidende Fähigkeit für die VUKA-Zukunft ist. In erster Linie sollten Kompetenzen aus meiner Sicht zum selbstorganisierten Lernen erworben werden. Das 4K-Model gibt die Richtung vor: Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritisches Denken. In unserer „always beta – Zeit“ laufen wir den Entwicklungen sonst immer hinterher.
MILLA nährt weiterhin den Wahnsinn herkömmlicher Bildung. Wann begreifen unsere Politiker, dass ein Kursabschluss nur eine Teilnahmebestätigung nach sich ziehen kann! Der Kompetenzgewinn zeigt sich im späteren Tun in der Praxis und nicht durch einen Test. Wäre es nicht viel hilfreicher, wenn wir die Fähigkeiten des Lernens in einer digitalisierten Gesellschaft formulieren könnten, zumindest im Groben, und es dann jedem frei stellen, diese Kompetenz in der Praxis nachzuweisen? Profilpass nennt sich das und das gibt es bereits. Wir sollten über die Autonomie des Lernenden nachdenken.
Und da wir gerade bei den Kompetenzen sind: „MILLA ermöglicht erstmals die koordinierte Erfassung von außerberuflichen Kompetenzen.“ (Seite 32). In individuellen Tests wird MILLA die Kompetenzerfassung nachweisbar machen. Was bisher keinem gelungen ist, MILLA kann das. Für Chorleiter, Fußballtrainer, Kindererziehung, Hobbies, ….
Dazu passt auch der Evaluierungsanspruch von MILLA auf Seite 33: „Nutzer können gute Kurse durch ein Bewertungssystem erkennen.“ Das ist der Netflix-Anteil an MILLA. Es folgt: „Anbieter werden abhängig von Nutzerbewertungen und tatsächlichen Lernerfolgen bezahlt.“ Nutzerbewertung können wir uns auf YouTube ansehen (freekickerz, 7,4 Mio Abonnenten), aber Lernerfolg, wie gesagt, dass ist Quatsch.
Es wird Zeit, zum humoristischen Teil von MILLA zu kommen:
Auf Seite 26 werden zwei Beispiele zur Veranschaulichung genannt:
Wer Python als Programmiersprache anbieten möchte, kann mit einem Relevanzfaktor von 0,9 rechnen. Wer hingegen das Angebot „Fit bleiben mit dem Thermomix“ anbietet, kann den Relevanzfaktor 0,3 einplanen. Damit haben die Autoren wie durch Zauberhand die Zielgruppe Frauen abgeholt. Gerade dieses Beispiel ist so traurig. Da dürfen die Männer nicht fehlen. Die müssen sich bis Seite 30 gedulden: dort wird die Struktur der Sub-Plattformen erklärt. In einer Reihe werden Berufsgruppen und Themen gelistet: Bäcker, Führung, Orga, Fussball, Trainer, …. In der Checkliste sind damit auch die Männer abgehakt. Thermomix = Frauen, Fußball = Männer. Fertig ist das Konzept.

https://www.youtube.com/watch?v=KNl_rJdz62w
MILLA bietet aber auch den Unternehmen die Möglichkeit ihre Weiterbildung in einem Intranet auf MILLA zu organisieren. Der Gedanke, dass wir alle über unsere Steuergelder auch noch die betriebliche Infrastruktur für Weiterbildung mitfinanzieren, macht mich unglücklich.
MILLA als Vermarktungsplattform. Darauf freuen sich heute schon einige Bildungsanbieter. Auch hier die Frage, wie ich mir das vorstellen kann. MILLA ist ja eine Netflix-Imitat. Die Likes bestimmen die Position in der Datenbank. Wir kennen es von Google. Treffer auf der zweiten Seite sind schon im Nirgendwo. Große Anbieter wie Microsoft, Udemy, Oncampus, IHK, … werden zweifelsfrei prominent gerankt. Diese Form der Darstellung führt zu einer Stärkung der großen Anbieter. Qualität hat andere Kriterien.
Auch wenn das bisherige Konzept von MILLA sich in Teilen wiederspricht, die Orientierung auf die berufliche Weiterbildung wird mehr in Richtung des Deutschen Qualifikationsrahmens Standards gedacht. CDU-Parteitag, Hamburg 2018 – Beschlüsse C 4, C 126 Deutschland braucht eine neue Weiterbildungskultur
Zur Qualitätssicherung der Weiterbildungsangebote wird ein unabhängiger Prüfmechanismus eingeführt, der auf der Grundlage des Deutschen Qualifikationsrahmens Standards für die zu erzielenden formalen und non-formalen Abschlüsse definiert. Zusätzliche Freistellungsansprüche der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden mit MILLA nicht begründet.“
Hier geht es um berufliche Bildung. Wo dort die Angebote für den Thermomix und Fußballlehrer ihren Platz finden erschließt sich mir nicht. Die Freude kleinerer Bildungsanbieter, wie z.B. die regionale VHS wird sich so in Grenzen halten.

https://www.youtube.com/watch?v=xiihS3lug-Q
MILLA ist ja auch irgendwie ein Startup. Von einem Startup erwarte ich ein Konzept, welches sich am Markt behauptet. Aber das Video der CDU belehrt mich eines anderen. Nach 3 Werbesequenzen, die zeigen wie ungeduldig Menschen auf MILLA warten, kommen die Macher*innen zu Wort. Bitte nicht vorzeitig das Video verlassen, auch wenn es für SM-Kanäle etwas lang ist.. Der letzte Satz ist der, der die Welt vieler Berliner Politiker am besten illustriert: „Tja, dann sind wir uns einig. Jetzt müssen wir es nur noch zum Gesetz machen.“ Das klingt dann doch etwas nach Xi Jinping, den KP-Chef Chinas.
MILLA nimmt also volle Fahrt auf. Akustisch untermalt durch den Einsatz des Nebelhorns, rauscht der Eisbrecher durch Untiefen der Digitalisierung, willens das Ziel zu erreichen. Wo immer das auch sei. Und der Weg führt über den Staat, wie die Macher*innen auf Nachfrage antworten: „Die Entscheidung, wer als Anbieter nach welchen Kriterien mit welchem Kurs zugelassen wird und wer nicht, muss letztendlich beim Staat liegen, der die Verantwortung für das Erreichen des Zieles einer breiten und attraktiven Weiterbildung trägt.“
Was bleibt:
Eine langersehnte Initiative aus der Berliner Politik. Dafür ist in jedem Fall zu danken. Gedanklich passend für die Jahrtausendwende ist sie 2018 vom Ansatz her nicht mehr relevant. Neues Interesse an Weiterbildung zu wecken kann nicht über eine Datenbank erfolgreich sein. Bei aller Kritik ist dieser Schritt mutig und sollte zum Anlass für weitere Debatten genommen werden.
Die Frage nach unserer Zukunftsfähigkeit ist nicht allein auf die berufliche Bildung zu konzentrieren. Die Frage ist, ob wir als Exportnation zukünftig Ideen und Konzepte exportieren können, die hinreichend Finanzmittel für unser Leben in Demokratie und Wohlstand realisieren und dabei der Nachhaltigkeit verpflichtet sind. Wirtschaftlich langfristig, ökologisch ressourcenschonend und sozial ausgleichend. Die Weiterbildung kann dies durch den Grundsatz „Hilfe zur Selbsthilfe“ fördern. Wir wissen nicht, was Zukunft bringt. Wir können aber Fähigkeiten fördern, die einen Umgang mit immer neuen Entwicklungen erleichtern. All das braucht eine breite Basis in der Bevölkerung.
Dafür wäre der Einsatz, der für MILLA geplanten 3 Mrd. € sicherlich sinnvoll eingesetzt. Eine Initiative könnte als Startup auf den Weg gebracht werden. Was bräuchte es dazu? Experten aus allen demokratischen Parteien, die sich dem Ziel parteiübergreifend verschreiben. Akteure aus der klassischen Bildung, die nicht an eigenen Fördertöpfen entlang denken, Vertreter*innen aus Zivilgesellschaft, Kirchen, Gewerkschaften. Und letztlich braucht es Expertise aus dem Feld der Wirtschaft, Digitalisierung, Ethik und Zukunftsforschung. Eines ist ihnen gemeinsam: die Begeisterung für das Ziel und nicht eine Vertretungsabsicht, nur um dabei zu sein. Aufgabe: Erstellung eines Maßnahmenplanes zur Umsetzung einer Bildungsoffensive, die neue Wege bis in die kleinsten Dörfer aufzeigt. Der Plan liegt 100 Tage nach dem ersten Treffen der Gruppe vor. Alle Beteiligten verpflichten sich innerhalb dieser 100 Tage 3 Workshops zu je 5 Tagen zu besuchen. Dieser Maßnahmenplan wird ohne konkrete Finanzzuschreibung erstellt. In den nächsten 100 Tagen wird die Umsetzung thematisiert.
Also viel zu tun, aber träumen darf ich doch – oder?
Was würdest Du mit jährlich 3 Mrd. € für Weiterbildung anfangen?
Aktueller Stand Mai 2019: Die CDU/csu-Fraktion im Bundestag hat Villa zu den Akten gelegt. Villa wird nicht weiter verfolgt, man will andere Konzepte prüfen.
Im Blog Wikimedia nehmen Christian Friedrich und Bernd Fiedler Stellung:
Erste Reaktionen auf MILLA nehmen noch weitere Fragestellungen in den Blick. Besonders am Herzen liegt mir dabei der Gedanke an Offene Bildungsmaterialien. Der Grundsatz: öffentliches Geld, öffentliches Gut – was mit öffentlichen Geldern finanziert wird, soll auch der Öffentlichkeit kostenfrei zugänglich gemacht werden.
Auf der Site wb-web.de wird ebenfalls diskutiert.
Ulrich Schmidt stellt in seinem Blog ebenfalls Fragen, die hier direkt von der CDU beantwortet werden
Sehr geehrter Herr Heilmann,
vielen Dank für Ihre Einladung zur Expertenrunde am 30.1.19 nach Berlin.
Ich hatte schon auf diese Einladung gewartet ;-). Aber im Ernst, Ihre Einladung macht aus Ihrer Sicht natürlich Sinn. Kritische Stimmen an Ihr Projekt MILLA zu binden und somit möglichst wenig öffentlichen Gegenwind zu bekommen, ist eine gängige Variante der Politik. Sie möchten u.a. mit Experten aus der Weiterbildung und mir über die praktische Umsetzung von MILLA sprechen.
Wenn Sie mir gestatten, möchte ich gerne begründen, warum ich Ihrer Einladung in die Hauptstadt nicht nachkommen werde.
1. Wie sollte ich das tun, wenn ich in meinem letzten Blogpost MILLA als jetzt schon überholt betrachte. Ich glaube nicht, dass sich bei genauerem Lesen meines Beitrages für beide Seite etwas Konstruktives ergeben wird. Am Ende steht dann: „Wir haben es ja versucht, aber …“ Dieses können wir uns ersparen.
2. Wir verfolgen grundsätzlich einen unterschiedlichen Denkansatz. Während ich den freien Austausch von Meinungen und Expertise verfolge, sind sie sehr viel strategischer unterwegs. In Ihrem Fall funktioniert der Maßnahmeplan offensichtlich wie folgt:
Sie haben eine Idee für eine Plattform. Sie finden in Ihrer Partei Mitstreiter*innen. Sie suchen für MILLA eine Mehrheit in Ihrer Partei und finden diese auf dem CDU-Parteitag im Dezember 2018. Jetzt binden Sie die Weiterbildungsexperten ein. Wahrscheinlich sind das überwiegend Experten, die öffentlich geförderte Einrichtungen von Hochschule bis Volkshochschule vertreten. Und dann sicherlich noch Experten aus der privaten beruflichen Weiterbildung, die sich über MILLA eine bessere Vermarktung ihrer Produkte vorstellen.
Damit haben Sie alle am Tisch, die allerdings auch zur aktuellen Situation in der Weiterbildung ihren Teil beigetragen haben. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. An Ihrer Stelle würde ich genau so vorgehen.
Am Ende ist MILLA dann die Idee der Partei, die mit Stakeholdern aus der Weiterbildung aus der Taufe gehoben wird. In dieser Form schwingt der Nutzen aller etablierten Weiterbildungseinrichtungen mit, aber haben Sie auch die Nutzerperspektive an Bord? Wissen Sie, warum in Deutschland so wenig interesse an formaler Weiterbildung vorhanden ist?
Der Ansatz, Ihre Idee über eine Partei zu lancieren, trägt den Wurm des kleinsten gemeinsamen Nenners in sich. Sie müssen mit anderen Parteien einen Kompromiss aushandeln, denn die Zeiten von Alleinregierung sind auf längere Sicht nicht realistisch. Ihre politischen Gegner/Partner werden immer versuchen, Ihrer Partei das Alleinstellungsmerkmal an der Idee zu nehmen. Was soll am Ende dann wieder für eine lasche Idee dabei rauskommen? Ich weiß, wovon ich schreibe, denn nach 25 Jahren in der Weiterbildung, zuletzt als Marketingleiter und bundesweit agierender Lobbyist für zeitgemäßes Lernen, habe ich derartige Strategien und Kompromisse mitgetragen.
Mein Ansatz wäre ein anderer:
Da ich als selbstständiger Innovationsbegleiter institutionell nicht mehr gebunden bin, habe ich den Luxus auch als Beobachter an der Entwicklung teilzuhaben. In der Analyse der Notwendigkeiten zur Zielerreichung sind wir uns weitgehend einig. Aber meine Frage wäre:
Wie können wir mit einem Einsatz von jährlich 3 Mrd. € das Ziel einer Teilhabe und Zukunftssicherung in der digitalisierten Gesellschaft auf eine sehr breite Basis stellen?
Diese Frage würde ich öffentlich stellen und einen Ideenwettstreit, an dem am Ende die Gesellschaft als Gewinner dasteht, ausrufen. In diesen Entwicklungsprozess können natürlich u.a. auch Parteien ihre Expertise einbringen. Aber bereits eine Gesetzesvorlage zur Finanzierung einer Plattform als Antwort zu haben, ist mir zu grau gedacht. Da geht doch bestimmt noch etwas mehr Farbe, da sind doch noch viele andere bunte Ideen unterwegs. Und seien wir ehrlich: mit 3 Mrd. € könnten wir alle einen tollen Mix realisieren, der sich mit neuer Empathie den unterschiedlichsten Lebenswirklichkeiten vor Ort widmet. Geben Sie die Weiterbildung auch in die Hände der Betroffenen zurück. ) Siehe mein Blogpost zu dritten Orten*.
Zwischen Netzwerken und Seilschaften ist ein rasiermesserscharfer schmaler Grad, das sollten wir alle dabei im Auge behalten.
Also Herr Heilmann, ich veröffentliche meine Antwort an Sie auch auf meinem Blog, da ich gerne einen transparenten Diskurs anregen möchte. Mir fehlt zum klassischen Weg der Einflussnahme die Institution im Rücken und das Netzwerk einer Partei oder einer Metropole, da ich auf dem Land lebe. Ich habe das Internet als meinen Briefkasten. Betrachten Sie meine Antwort bitte nicht nur als lästige Kritik, sondern eher als Störung und Einladung in einer bislang eher wenig öffentlich geführten Debatte.
Ich wünsche Ihnen ein gutes Händchen für unsere Zukunft
Ihr
Joachim Sucker
* Ich stelle mir gerade neue Orte der Begegnung vor, die das Thema der Teilhabe in einer digitalisierten Gesellschaft und unsere Zukunftsherausforderungen thematisieren, die das konkret vor Ort umsetzen. Das wären bei jährlich 3 Mrd. € und einer Finanzierung von jährlich 100.000,-€ pro Projekt insgesamt 30.000 dritte Orte in Deutschland. Eine unglaubliche Vorstellung. Das wäre ja Weiterbildung an jeder Milchkanne. Aber selbst, wenn es nur 15.000 Orte wären und der Rest in die berufliche Bildung fließt, damit könnte ich auch leben ;-).
Nun hat sich Peter Brandt vom Deutschen Institut für Weiterbildung in die Runde der Experten begeben. Seinen Bericht fängt er wie folgt an:
MILLA will vor allem eines: schnell da sein
Die Grafik zeigt eine Kursentwicklung als Analogie zu Karriere.
Eine Arbeitsgruppe der CDU-Bundestagsfraktion rund um Thomas Heilmann hat zu einem Expertenaustausch in den Deutschen Bundestag eingeladen, bei dem ihr Konzept MILLA im Fokus steht. MILLA steht für „Modulares Interaktives Lebensbegleitendes Lernen für Alle“ und ist in den Fachmedien schon recht breit diskutiert worden. Verantwortlich sind für das Konzept die Abgeordneten Thomas Heilmann, Marc Biadacz, Antje Lezius und Kai Whittaker. Dr. Peter Brandt schildert seine Eindrücke aus dem Austausch.
Zum gesamten lesenswerten Artikel geht es hier entlang.
https://wb-web.de/aktuelles/milla-will-vor-allem-eines-schnell-da-sein.html